Consonus

Interview mit dem Komponisten

Fragen: Orchester des Matthias-Grünewald-Gymnasiums

Gab es irgendein Ereignis oder Anliegen das sie zu der Komposition dieses Werkes inspiriert hat? Gab es vielleicht sogar ein Programm?

Musik ist Programm - Hardware und Software gleichzeitig. Kombatibel, logistisch unantastbar, menschlich und naturtreu! Musik ist einzigartig (?) Logos und Spiritus einhaltig! Musik Ist oder Ist nicht! Sein und nicht Sein. Ist Fleisch und Seele in sich selber!
Am Anfang (1993) gab es eine logische Idee, ein wörtlich definiertes Projekt und mehrere mutige Begleiter. Der Urgroßvater ist sicher Herr Dieter Treeck - damals Kulturamtsleiter in Bergkamen, selbst Schriftsteller und Lyriker und Herr Pohlmann, Unternehmer, der die Idee finanziell unterstützt hat. Man erwatete von mir eine relativ kurze und einfache Komposition für ein Jugendsinfonieorchester, in welcher sich drei verschiedene Musikkulturen spiegeln sollten. Typisch für das Ruhrgebiet sollte ich deutsche, polnische und auch noch andere (z.B. türkische, griechische) Elemente hörbar machen. Eine gelungene, nicht problemlose Uraufführung führte mich später zur weiteren interkulturellen Versuchen. Was als die "Ruhr-Suite" bestellt wurde, endete in einer vieljährigen Herausforderung in der Gestallt einer "Sinfonie für Toleranz" oder als "Bilder einer interkulturellen Gesellschaft" oder als "Eintracht-Sinfonie" oder als... "Consonus".

Was können Sie kurz zu der musikalischen Gestaltung Ihres Stückes sagen, worauf haben Sie besonderen Wert gelegt? Hatten sie eine bestimmte Kompositionsmethode, wie ist das Stück entstanden?

Bereits von vorne vermutete ich, dass ich keine klassischen Formen wie Allegro-Satz, Rondo oder Suite für die Grund-Idee nutzen kann. Aktuelle, zeitgenössische Inhalte verlangen auch neue Formen. Am Anfang meiner Arbeit stand ein großes Fragezeichen wie auch eine tiefe Botschaft und - im positivem Sinne - fesselnde Motivation.
Ich wusste, dass ich eine neue Klang-Tonalität einsetzen möchte und bemühte mich ein neues Zeitraster (Video-Clips?!) als Form zu erfinden. Ich habe damals keinen Ariadnefaden und keine Form geschenkt gekriegt.

Woher stammen die Melodiezitate?

... eher Motive, Stimmungen, Atmosphäre! Hier haben sich sehr viele meine Erfahrungen und Erlebnisse, die ich als reisender Musiker in Europa und Asien gemacht habe, addiert. Wichtig ist in meiner Sinfonie, dass sich manche einzelne Musiker und Zuhörer mit bestimmten Abläufen identifizieren können. Jeder von uns hat mit/in der Kindheit und Erziehung, Ausbildung eine konkrete (Musik-)Kultur geschenkt bekommen ohne dabei ein Ja oder Nein dazu sagen zu können. Das heißt einfach, dass jeder von uns bestimmte kulturelle Wurzeln besitzt. Das ist ein Kapital, das man sich bewusst machen sollte und verteidigen muß! Übrigens: - was kann man im Leben sonst noch besitzen.

Welche politische Dimension hat dieses Stück? Was sagt in diesem Zusammenhang der Titel "Consonus" aus?

Jedes gelungene, erlebte, ehrliche Kunstwerk trägt immer eine politische Aussage in sich. Eine stricte politische Dimension hat meine Komposition jedoch nicht. In meinem Fall handelt es sich, wenn schon, viel mehr (eher) um historisch-gesellschaftliche Relationen. Ein aufmerksamer, aktiver und mit der europäischen Geschichte vertrauter Zuhörer, findet sicher überraschende, außermusikalische Assoziationen in meinem Werk. Er findet wahrscheinlich Echos vom Kriegszustand in Polen, das Leiden der balkanischen Völker während des Balkankrieges und fragt sich eigentlich, warum "Der Mond..." nicht so ganz "aufgegangen" ist? Es gibt auch andere, verschlüsselte Andeutungen über rein unmusikalische Ereignisse aus den 90er Jahren in Europa - auch politische.
Viel wichtiger aber sind die Assoziationen des Titels "Consonus" mit Begriffen wie: Konsonanzen, Wohlklang, Symbiose, Assimilation, Toleranz, Eintracht oder einfach Miteinander im harmonischen Ein-, und Ausklang, zu sehen. Die Natur (Gott) gab uns die Obertonreihe, Aliquoten - siehe Takt 38 in meiner Komposition. Was kann denn der Mensch dann noch ergänzen, ausbauen, beeinflussen? Reicht danach nicht eine Aufgabe wie die Relation von Beruf und Berufung für Homo Sapiens für eine ausgefüllte und glückliche Existenz aus? So bedeutet "Consonus" einfach Harmonie in/mit allen Dimensionen! Es gibt viele Dimensionen - z.Z. wissenschaftlich-spekulativ, gibt es mindestens elf - siehe die String-Theorie!

Welche Verbindung hat dieses Werk im Bezug auf ihren eigenen Lebenswandel als in Deutschland lebender Pole? Verstehen Sie Sich selbst als moderner oder polnischer Komponist?

Das ist eine sehr gute Frage (oder Falle?), die mich aber nicht betrifft! Ich stamme aus einer oberschlesisch-deutschen, musikalischen, mit allen kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Eigenschaften ausgereiften Familie - bekam eine sehr gute polnische (fast preußische) Ausbildung und pflege weiterhin einen sehr persönlichen, herzlichen Bezug zur polnischer Nation mit ihrer Geschichte und Mentalität, zur polnischer Kunst, Kultur und Musik. In Oberschlesien wuchs ich in einer Umgebung auf, in der man als Kind, buchstäblich auf der Dorfstraße, die Multikulturität, mit ihrem gesamten - wenn auch nicht immer erkannten - Reichtum kennenlernen konnte.
Ich bin aber ein europäischer Komponist. Dafür bekomme ich genug viele Beispiele aus Alaska, Argentinien, Südafrika, Australien oder Japan in Form von Aufführungen oder Rundfunksendungen. Die anderen erwarten von uns Europäern kulturelle Offenheit, Ehrlichkeit im Umgang mit eigener (europäischen) Geschichte, vorbildliches Handwerk, überzeugende Identität und zukunftsorientierte und praxisnahe Ideen. Ich repräsentiere keine konkrete Schule, Richtung oder Gruppierung. Meinen Erfolg als Komponist verdanke ich langjähriger, harter und wertvoller Ausbildung, wie auch offenen Augen und Ohren auf die musikalische und gesellschaftliche (Welt-)Geschichte, verbunden mit sehr intensiver Analyse der Gegenwart und vorsichtigem aber durchdachtem Blick in die Zukunft. Zur Frage: - Wandel bedeutet Leben und Intelligenz miteinander inhaltlich integriert!

Was ist Ihnen wichtiger, ihre Arbeit als Komponist oder als - nicht unbedeutender - Flötist?

Kann ich verantwortlich nicht festlegen. Laut öffentlicher Einschätzung von J.-E. Behrendt (www.j-e-berendt.com) bin ich einer der bedeutendsten, lebenden Flötisten . Was für ein Kompliment von einer so unvergleichbaren Weltpersönlichkeit.
Die Mehrzahl meiner Kompositionen habe ich für/mit Querflöte geschrieben und bei meinen Auftritten als Flötist spiele ich seit Jahren überwiegend nur eigene Kompositionen - auf ausdrückliche Erwartungen von Seiten meines Publikums. Es gibt in Europa und vielleicht sogar in der Welt keinen Flötisten, der soviel wie ich durchgespielt hat. Man braucht auch so jemanden auch gar nicht! Warum soll eigentlich ein excellent gut ausgebildeter und talentierter Berufsmusiker (verheiratet, ein Sohn) zwanzig Jahre lang intensiv und hauptberuflich nach den Geheimnissen der bis heute noch nicht überzeugend erforschten Flötentönen jagen? - und dass freiwillig in so verschiedenen Musikrichtungen wie Jazz, Klassik, Rock, experimentelle Musik, Multimedia und ...Flamenco!
Zugegeben - es entstanden dabei über zwanzig solistische Produktionen wie auch mindestens 200 verlegte Kompositionen und ich musste mich dabei nie auf irgendwelche Vorbilder stützen. (übrigens: - so konstruiert man automatisch eine neue Schublade, z.B. neue stilistische Freiheit).

Wie kommen Sie dazu als Komponist der immerhin bei Schott verlegt ein Werk für Schulorchester zu schreiben?

... nicht nur bei Schott, sondern auch in Wien (Universal Edition Die Flöte im Jazz ), immer intensiver beim Zimmermann Verlag (Frankfurt/Main), Karthause-Schmülling mit über 20 Alben, in letzter Zeit auch in Polen (Polish Music Edition, Professional Music Press) und für meinen eigenen Europart-Verlag.
Ein Jugendsinfonieorchester ist, meiner Meinung nach, nicht nur ein Schulorchester, sondern u.a. auch ein Wirtschaftsfaktor und vor allem ein erwünschtes Bild einer gesunden, friedlichen, altgeprüften zwischenmenschlichen Struktur.
Wo kann man heute noch eine so homogene, gesellschaftlich-strukturell und anti- konjunkturell begründete Organisation finden, in der:

- jeder seinen eigenen Platz findet

- unersetzbar ist

- mit allen anderen problemlos zusammen spielt

- nur einen Dirigenten - ohne antidemokratischen Gedanken - akzeptiert

- sich sicher ist , dass er für eine höhere Harmonie sorgt

- ein klangliches, hörbares Endergebnis mitbestimmt

- dabei auch noch sein eigenes Ego entwickelt

das jeder am liebsten lebenslang weiter machen und auch noch davon leben kann!
Dafür schreibe ich für Schulorchester!

Welche Bedeutung hat für sie die musikalische Arbeit an Schulen?

Eine futuristische Bedeutung und Belohnung!
Einerseits, als Bestätigung meines künstlerischen Werdegangs, ich meine damit alle meine konzertant-pädagogischen Publikationen - , als auch die Freude, wenn meine Schüler/innen dank meiner didaktischen Arbeit, eine höhere Stufe des Musikgeheimnisses erreichen. Niemand weis heute gewiss, wie sich die Musik in den nächsten zehn, zwanzig, fünfzig Jahren entwickeln wird. Ich plädiere eher (allgemein) für die Einschätzung von Nostradamus (Untergang der Alten Welt(-ordnung) ) - vielleicht hat der große Visionär den Übergang von Analogzeit zur Digitalzeiten richtig prophezeit? Persönlich habe ich diese Transformation künstlerisch erlebt und ... überlebt.
Aber sicher wird es die Musik schlechthin noch geben. Der Mensch als Individuum und Teil der Gesellschaft und Natur kann ohne Musik nicht existieren.

- es werden sicher auch Jugendsinfonieorchester musizieren,

- man wird höchstwahrscheinlich auch meine Duos und Trios spielen.

Es ist aber auch sicher, dass die Zukunft der Musik viel mehr von Euren (heute noch Schülerinnen und Schüler) als von unseren (Komponisten, Künstler, Pädagogen, Politiker) Bemühungen und Bewusstsein geprägt werden wird.

A propos Belohnung: Ist so ein Katalog von durchdachten, engagierten Fragen von jungen Menschen an mich, nicht eine besondere, außerordentliche Belohnung?